[Unsere Pressemitteilung vom 5.6.2020] Kritik an rassistischer Berichterstattung zu aktuellen Corona-Fällen in Göttingen +++ Solidarität mit den Betroffenen statt unsozialer und schutzloser Wohnungspolitik der Stadt

Pressemitteilung der Hausgemeinschaft Goßlerstraße 17/17a vom 5.06.2020

Kritik an rassistischer Berichterstattung zu aktuellen Corona-Fällen in Göttingen +++ Solidarität mit den Betroffenen statt unsozialer und schutzloser Wohnungspolitik der Stadt

Die Bewohner_innen der Hausgemeinschaft Goßlerstraße 17/17a kritisieren die mediale Hetze sowie die stigmatisierende und rassistische Berichterstattung und Äußerungen durch Politiker_innen und Öffentlichkeit  seit dem Bekanntwerden neuerer Corona-Infektionen im Zentrum von Göttingen vergangener Woche. Sie sehen die wirklichen Ursachen in einer unsozialen Wohnungspolitik und mangelnden Schutzmaßnahmen für die Betroffenen durch die Stadt und rufen zu Solidarität mit den Bewohner_innen auf.

Seit dem Bekanntwerden neuerer Infektionen im Zentrum von Göttingen vergangene Woche ist eine deutlich rassistische Berichterstattung und Stimmungsmache in der lokalen, aber auch überregionalen Presse zu beobachten. Das Statement vom Göttinger Roma Antidiscrimination Network vom 4.6.2020 fasst die Sachlage und wie diese fälschlich abgeändert wird, ziemlich gut zusammen (https://ran.eu.com/hetze-wegen-corona-in-gottingen-breitet-sich-aus/).

Laut Roma Antidiscrimination Network zeigt die Vorgeschichte zu den Infektionen, dass die Bewohner_innen des Wohnblocks sehr wohl auf das Infektionsrisiko aufmerksam gemacht hatten und mehrfach Kontakt zu Behörden der Stadt und Polizei hatten, sie aber nicht Ernst genommen wurden. Auch wurden von den Bewohner_innen geforderte Tests am 25. Mai mit Verweis auf mangelnde Symptome von den Behörden abgelehnt. Dies wird jedoch in den meisten Berichterstattungen verschwiegen. 

Myriam Luna, Bewohnerin der Goßlerstraße 17/17a erklärt: “Was in diesem konkreten Fall hier in Göttingen deutlich wird: Stigmatisierende Bilder von vielbeschworenen sozialen Brennpunkten und Bewohner_innen im NDR als “rücksichtlos und asozial”, bestärken in der Mehrheitsgesellschaft verbreitete Ressentiments. Und ganz so, als sei es nicht passiert, dass vor gut drei Monaten ein deutscher Rassist neun Menschen aus rassistischem und verschwörungsideologischem Antrieb ermordete, überbieten sich sogenannte deutsche Leitmedien derzeit darin den vermeintlichen Sündenbock gefunden zu haben. Das angebliche Corona-verbreitende Übel wurde schnell ausgemacht: “Brennpunkt”, Großfamilien und Shishabars. Und es sorgt für größere mediale Aufmerksamkeit als Corona-Ausbrüche in gutbürgerlichen Restaurants, in Logistik- und Schlachtbetrieben oder bei Zusammenkünften von christlichen Gläubigen.”

Weiter sagt Myriam Luna: “Hier wird deutlich, dass der Wohnort nicht nur darüber entscheidet, wie gut sich Menschen selbst vor einer möglichen Infektion schützen können, sondern auch darüber, inwieweit sie von staatlicher Seite vor einer solchen geschützt werden. In einem Wohnblock mit bis zu 700 Bewohner_innen auf engem Raum ist die Wohnsituation auf vielen Ebenen anstrengend und belastend. In Zeiten von Pandemien wie momentan durch das Corona-Virus bedingt, bedeutet die gemeinsame Nutzung von Hauseingängen, Treppenhäusern, Fahrstühlen und Mülltonnen mit mehreren Hundert anderen Menschen, ein erheblich höheres Risiko einer Ansteckung als in Wohngegenden mit Einfamilienhäusern und Abstand zwischen Grundstücken. Wieder einmal wird klar: Vor dem Virus sind nicht alle Menschen gleich. Nicht alle Menschen werden gleich geschützt, sondern die Infektion in prekären Wohnsituationen billigend in Kauf genommen. So in Lagern und Gemeinschaftsunterkünften, in denen Geflüchtete wohnen müssen, aber auch in großen Wohnblocks von Mieter_innen mit geringem Einkommen. Bricht dann eine Infektionskette aus, wird die Schuld dafür den Bewohner_innen zugeschoben und sie als unverantwortlich oder fahrlässig dargestellt.”

Das Roma Antidiscrimination Network schreibt dazu: “In der aktuellen Situation müssen diese Menschen sich nun nicht mehr nur Sorgen um ihre kranken Angehörigen machen, sondern werden wieder einmal in unserer Stadt stigmatisiert. Die Hetzte gegen sie breitet sich aus.”

Myriam Luna schließt mit der Worten: “Als Bewohner_innen der Hausgemeinschaft Goßlerstraße 17_a verurteilen wir die bewusst fälschliche und rassistiche Berichterstattung über die Neuinfektionen im Iduna-Zentrum der letzten Tage und solidarisieren uns mit den Bewohner_innen! Das Recht auf würdevolles Wohnen und gesundheitliche Unversehrtheit/Schutz darf nicht vom Einkommen oder sozialen Status der Menschen abhängig gemacht werden! Alle Menschen haben das Recht auf Schutzmaßnahmen vor Infektionen.”

Pressekontakt:
Myriam Luna
gosse@riseup.net