Corona, Krise, Kapital…? – Unsere Antwort ist Solidarität!

#Mietenstreik
#getThemOut

#LeaveNoOneBehind

Als ein linkes, selbstverwaltetes Göttinger Hausprojekt, in dem wir gemeinsam das solidarische Zusammenleben erproben, möchten wir ein paar Gedanken zur aktuellen Situation mit euch teilen.

Wie viele andere finden wir uns in einer Gesamtlage wieder, die wir uns vor einigen Wochen nichtmal ansatzweise hätten vorstellen können. An allen Ecken und Enden spitzt sich die gesellschaftliche Situation gerade zu. Menschen sind mit der Angst konfrontiert, durch einen viralen Infekt in akute Lebensgefahr zu geraten, Lohnabhängige im Gesundheitswesen arbeiten weit jenseits ihrer Leistungskapazitäten, Geflüchtete, die bereits vorher an den EU-Grenzen der Verelendung ausgesetzt waren, finden sich wieder zwischen Polizeiknüppeln, faschistischen Banden und Covid-19-Infektionsherden.

Auch für uns in unserem beschaulichen Hausprojekt gilt es mit der Situation einen Umgang zu finden, im Kontakt zu Freund_innen und Familie auf Abstand zu gehen und den Impuls, dieser Gesamtscheiße irgendwas entgegenzusetzen damit in Einklang zu bringen, dass direkte Treffen mit Friends, Nachbar_innen und unseren politischen Zusammenhängen nicht ohne Weiteres möglich sind. Aus diesem Gemisch aus Ohnmacht und dem Wunsch unserer Frustration über den Status quo Ausdruck zu verleihen haben wir diesen kurzen Text verfasst. Natürlich lässt sich hier die Komplexität der Situation nicht in ihrer Gänze erfassen.

Immer mehr Staaten auf der Welt haben im Rahmen der Ausbreitung von Covid-19 steigende Infiziertenzahlen zu verzeichnen. Vielerorts wurden die Kapazitäten der Gesundheits- und Versorgungsapparate schon jetzt bei weitem überstiegen – tägliche Meldungen von hunderten Toten und verzweifelten Menschen, die im Gesundheitswesen tätig sind, legen davon Zeugnis ab.

Es ist absehbar, dass dies auch weiter anhalten wird. Nun starten viele Staaten Maßnahmen, um das Tempo der Ausbreitung zu drosseln und dadurch Zeit zu gewinnen, um die Infrastruktur der Krankenhäuser aufzurüsten. Infektionsherde sollen eingedämmt, der physische Kontakt zwischen Menschen massiv reduziert und das öffentliche Leben quasi auf Standby gestellt werden.

Stay the fuck at home? Shut the fuck up!

Um es direkt zu klären: Wir richten uns hier keinesfalls gegen den Appell von Forschung und Medizin, soziale Interaktion zu minimieren, zu Hause zu bleiben und so die weitere Ausbreitung von Covid-19 zu verlangsamen. Gerade aus Rücksicht auf diejenigen, deren Immunsystem einer Infektion nicht gewachsen ist, sollten Vernunft und ein ansatzweises Verständnis der Ausbreitungsmechanismen uns dazu anhalten, sich umsichtig an diese Richtlinien zu halten.

Jedoch sollte uns bewusst sein, dass stay the fuck at home nicht für alle den Rückzug ins Kleinfamilienidyll, die gemütliche WG oder das mit Spreewaldgurken und Automatikgewehren ausgestattete Prepper-Domizil bedeutet. Stay the fuck at home bedeutet für viele dem gewalttätigen Partner ausgeliefert zu sein, mit ihrer Depression sich selbst überlassen zu werden, weiter zu vereinsamen und sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie mit dem Wegfall des prekären Einkommens die nächste Miete oder der Krankenversicherungsbeitrag aufgebracht werden soll.

Für zahlreiche Menschen, die von Hartz IV und anderen staatlichen Lebenserhaltungsmaßnahmen abhängig sind, stellen die soziale Isolation, die eingeschränkte Teilhabe am öffentlichen Leben und die Sorge vor Lebensmittelknappheit zudem keinen Ausnahmezustand, sondern ständige Lebensrealität dar. Vielleicht noch mit dem Unterschied, dass nicht die Leere der Supermarktregale, sondern die des eigenen Portemonnaies als limitierender Faktor im täglichen Struggle um Nudeln und Konserven den Ton angibt – hamstern muss man sich auch erstmal leisten können. Ebenso das home, in das wir uns zurückziehen sollen. Wohnungslose, die auch im ‘Normalzustand’ sowieso schon den Kürzeren gezogen haben, sind in der aktuellen Sitation literally Schutzlos.

Gleichzeitig wird social distancing jedoch nach zweierlei Maß verfolgt:

Während Kinos, Theater und Bars geschlossen und Demonstrationen, Feiern oder Sportveranstaltungen verboten werden, sollen die Menschen dennoch fleißig ihrer Lohnarbeit nachgehen. Möglichst von zu Hause, was für einen kleinen Teil der Beschäftigten möglich ist, ansonsten aber wie gewohnt. Größere Produktionsstätten wie nun die Autohersteller, stellen ihre Produktion tatsächlich erst ein, wenn die Nachfrage nach ihren Gütern nicht mehr besteht. Ansonsten soll alles weiter laufen wie gehabt. Kurz: Das staatliche Krisenmanagement muss den vage vorhersehbaren Ausfall von Produktivkräften sorgsam gegen die Aufrechterhaltung des Betriebes abwiegen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft erhalten zu können.

Zur Belohnung gibt es für die vorbildlichen Bürger_innen statt Ausgangssperre nur das Kontaktverbot. Als unterstützende Maßnahme zur Selbstdisziplinierung wurde aber auch ein rigoroses Durchgreifen der Exekutive versprochen, sollten doch mal leichte Zweifel am staatlich verordneten Verfahren aufkommen.

Unsocial distancing

Die staatliche Betrachtung von Corona als “nationale Herausforderung” (Söder et al.) macht es eigentlich schon klar: Nicht allen Menschen gilt der Schutz des Staates. Während deutsche Staatsbürger_innen auf Staatskosten aus allen Teilen der Welt aus ihren Urlaubsdomizilen eingeflogen werden, finden parallel sogar noch Abschiebungen aus Deutschland statt. Nationale Grenzen wurden in der Panik des Ausnahmezustands ohne besondere Rechtfertigungsbemühungen kurzerhand geschlossen.

An den europäischen Außengrenzen werden Schutzsuchende mit allen Mitteln daran gehindert, ihr Recht auf Asyl in Anspruch zu nehmen. An der griechisch-türkischen Grenze wurden sogar Menschen erschossen, andere harren zu Tausenden eingepfercht auf den griechischen Inseln in Lagern wie Moria aus, wo sie sehenden Auges einem möglichen Ausbruch der Pandemie ausgeliefert werden. Die Ausgangssperren und die katastrophalen hygienischen Bedingungen sowie der extreme Mangel an medizinischer Versorgung könnten schon bald zu tausendfachen Todesfällen führen, doch die Betroffenen werden einfach eingesperrt und aufgegeben.

Doch selbst in den Massenunterkünften in Deutschland werden Geflüchtete jeglicher Rechte beraubt und ihre Ansteckung billigend in Kauf genommen, obwohl es ein Leichtes wäre, sie bspw. in leerstehenden Hotels unterzubringen. Die katastrophale Hilflosigkeit der Gesellschaft zeigt sich in Szenen wie in Suhl, in der ein Sondereinsatzkommando mit Schutzanzügen Menschen gewaltsam in einer Unterkunft festnahm, weil diese angeblich gegen Sicherheits-Auflagen verstoßen hätten.

Who cares?

Das Corona-Virus ist zwar gesundheitlich bedrohlich und potentiell lethal für Menschen mit Vorerkrankungen oder im hohen Alter seine volle tödliche Wirkung ergibt sich jedoch aus der Tatsache, dass Menschen in Bedingungen leben müssen, in denen sie sich nicht vor Ansteckung schützen können und nicht genügend Infrastruktur zur Verfügung steht, die Infizierten ausreichend zu versorgen. Die dramatischen Nachrichten über die Lage in Italien führen uns momentan deutlich vor Augen, dass die hohe Sterblichkeit nicht lediglich auf die körperliche Verfassung der Erkrankten zurückgeführt werden kann. Es ist also nicht zwingend das Virus das tötet: Jahrzehntelange Kürzungen im Gesundheitsbereich, massenhafte Privatisierungen, und die generell viel zu geringe Wertschätzung und Entlohnung von Pflegearbeit tragen erheblich zu der Misere bei.
Dass die Carearbeit zum Großteil von Frauen* getragen wird, die nebst der Erwerbstätigkeit noch selbst zusehen können wie die beruflichen Anforderungen mit der Sorgearbeit um die eigene Familie in Einklang gebracht werden können, verkommt zur Randnotiz.

Corona is a class issue

Die sozialen Ausgrenzungs- und Ungleichheitsstrukturen werden durch den Ausbruch des Virus’ derartig sichtbar, dass sie sich auf die Frage von Leben und Tod zuspitzen. Dabei zeigt sich auch, wie bereitwillig Staaten ihre Handlungen daran orientieren, den Tod bestimmter Personengruppen in Kauf zu nehmen, um andere zu schützen. Doch wir alle sind vom autoritären staatlichen Handeln und der Einstampfung jeglicher Bürger_innenrechte betroffen, die durch die Notstandsrhetorik gerechtfertigt werden – sei es durch geschlossene Grenzen, Ausgangssperren oder massenhafte Auslesung von Handydaten, um Bewegungsprofile von potentiellen Corona-Verbreiter_innen zu erstellen. Auch wenn im Angesicht dieser lebensbedrohlichen Situationen von den Menschengruppen, die als nicht schützenswert klassifiziert werden, die Probleme derer, die sich nur um Klopapierreserven und Langeweile sorgen müssen, ziemlich harmlos erweisen, zeigt das Virus doch auf einzigartige Weise, wie viele Menschen eigentlich im Kapitalismus negativ betroffen sind, es häufig nur nicht so wahrnehmen.

Das könnte alles ganz anders sein!

Natürlich, sich rasch ausbreitende Infektionskrankheiten sind in unserer globalisierten Welt ein kaum zu vermeidendes Übel. Ebensowenig kann die Menschheit Vulkanausbrüchen, Erdbeben oder den daraus resultierenden Tsunamis direkt etwas entgegen setzen. Was aber durchaus unserem Einfluss unterliegt ist der gesellschaftliche Umgang mit diesen Ereignissen.

Baut solidarische Strukturen in euren Nachbarschaften, Vierteln und Städten auf! Unterstützt diejenigen, die auf Unterstützung angewiesen sind oder diese einfordern – nicht nur jetzt sondern dauerhaft. In einer Gesellschaft, in der das Wohlbefinden der Menschen und deren Umsorgung ein grundlegendes Prinzip wäre, würden Viele in der Not von Vielen aufgefangen.

Wir fordern, dass nicht nur in der aktuellen Krise sondern zu jeder Zeit die Arbeit im Gesundheitssektor sowie jegliche Form von Pflege und Sorgearbeit gesellschaftlich gewertschätzt, unterstützt und gut bezahlt wird. Denn in einer Gesellschaft mit genügend Intensivbetten für den Notfall und Menschen, die von ihrer Sorgearbeit leben können, bräuchte es keinen derartigen Ausnahmezustand wegen eines Virus.

Wir fordern, dass das europäische Lagersystem abgeschafft wird. Die Lager auf den griechischen Inseln, in nordafrikanischen Staaten und auf dem EU-Festland müssen sofort geschlossen werden! Geflüchtete haben das Recht auf eine würdige individuelle Unterbringung, in der sie genauso geschützt werden vor Erkrankungen, wie alle anderen Menschen auch.

Unter diesem Licht und auch im Hinblick auf die vielen Wohnungslosen in Deutschland, wird der Aufruf #staythefuckathome zu Farce. Wir fordern, dass wohnungslose Menschen die Möglichkeit haben kostenlos und unbegrenzt in Hotels unterzukommen und versorgt werden!

Wir rufen daher alle Vermieter_innen dazu auf, Mieter_innen die Miete zu erlassen, und das nicht nur solange diese Art Ausnahmezustand herrscht! Da wir jedoch auch wenig Hoffnung haben, dass sich Vermieter_innen diesem Aufruf anschließen werden, rufen wir die Mieter_innen zum Streik auf: Verweigert die Miete kollektiv und organisiert euch!

Wir fordern ein bedingungsloses Grundeinkommen ohne Vorbedingungen für alle Menschen, die Bedarf anmelden!

Wenn der aktuellen Lage irgendwas Positives abgewonnen werden kann, dann die Einsicht, dass der Kapitalismus offensichtlich nicht alternativlos ist und eine gesellschaftliche Antwort jenseits von Vereinsamung und Barbarisierung artikuliert wird. Es liegt an uns, unser Zusammenleben so zu gestalten, dass die Versorgung von Grundbedürfnissen keine Frage der individuellen Kaufkraft, des Reisepasses oder der geschlechtlichen Sozialisation ist und sich unser Wirtschaften und unsere Gesellschaft an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. Deshalb sind alle sehnsüchtigen Blicke auf ein Nach-dem-Corona, auf ein Zurück-zur-kapitalistischen-Normalität eine verheerende Illusion. Denn eines ist gewiss: Weder Markt noch autoritäre Hamster werden das für uns regeln.

Lasst uns jetzt gemeinsam und solidarisch für eine andere Normalität streiten!

Die Hausgemeinschaft Goßlerstraße 17/17a

Kontakt: gosse@riseup.net